Liebe Freunde,
lange habt Ihr nichts mehr von mir gehört. Doch nun liegt er endlich vor – der Abschlussbericht meiner Undercovermission bei den Schafen. Ich werde Euch nun von ganz unglaublichen Dingen berichten. Niemals hätte man solche Vorkommnisse an der norddeutschen Küste vermutet…
Um zu überprüfen, was dran ist an den Gerüchten, dass ein ostfriesischer Schäfer heimlich in seiner Werkstatt an einer Zeitmaschine schraubt, und um nachzuforschen, was es mit den Schafen auf sich hat, hatte ich mich auf dem Hof als Stallgehilfe einstellen lassen. Ein gefährliches Unterfangen, wie ich feststellen musste.
Meine Aufgaben umfassten die Reinigung der Ställe (so ein Kärcher ist schon was feines), das Füttern der Tiere, das Vorbereiten der Ablammboxen sowie Geburtshilfe und Mutter-Kind-Zusammenführungen, das Umweiden der Schafe, Treckerfahrten auf dem Deich, wo ich Zäune reparierte oder schwache und kranke Tieren einsammelte sowie das Aufpäppeln und Verarzten eben dieser. Ich bekam zwei warme Mahlzeiten am Tag und viel frische Luft. Alles in allem eine sehr schöne Tätigkeit. Und dennoch beschlich mich das Gefühl, dass man mir diese heile Welt nur vorgaukelte, damit ich nicht hinter die wahren Beweggründe des Schäfers kam. Manchmal sah ich ihn schweißen…angeblich Verbindungsstücke für den Elektrozaun…
Eines Tages war es dann soweit. Beim Umweiden der Schafe mit Hütehund Emma achtete ich nicht auf meine Füße und trat tatsächlich in ein Schwarzes Loch. Es verdrehte mir das Bein in einer Art, dass mir auch sogleich – wie passend – ebenso schwarz vor Augen wurde.
Unter dem aufgeregten Geblöke der Schafe, konnte ich mich mit letzter Kraft aus dem Sog befreien und der Spaghettifizierung noch so gerade eben entgehen. Glücklicherweise war es nur ein kleines, Schwarzes Loch. Nicht auszudenken, was sonst passiert wäre. Diese Worte würden wohl nie geschrieben werden. Ich hatte also Recht mit meiner Theorie, die Tiere würden als Materieverdichter zur Erschaffung von Schwarzen Löchern eingesetzt. Wozu auch sonst sollte man sich 2000 Schafe halten?
Fortan humpelte ich auf Krücken durch den Stall. Ich ließ mir aber nichts weiter anmerken, biss die Zähne zusammen und erzählte dem Schäfer, ich sei unglücklich vom Trecker abgesprungen. Er schien etwas besorgt über meinen Gesundheitszustand, war aber beruhigt, dass dies meine Arbeitsleistung nicht merklich beinträchtigte. Im Gegenteil, er war sogar so zufrieden, dass er einige Tage später beschloss, mich in sein Geheimnis einzuweihen.
Wir standen gerade auf dem Deich und ließen uns den Duft von salzigem Meerwasser, saftigem Gras und frischem Schafskot um die Nase wehen, akustisch untermalt vom ewigen Schafschor, als es plötzlich aus ihm herausplatzte: „Ich muss Dir etwas sagen. Das sind gar keine Schafe!“ Ich war verwirrt: „Sondern?“ – „Aliens!“, keuchte er. „Das sind alles Aliens…!“ und deutete mit einem weiten Bogen auf die blökende Menge. „Ich werde es Dir beweisen. Komm mit!“, rief er aufgeregt. Wir sprangen wieder auf den Trecker und fuhren zurück zum Hof.
Schweigend, fast ehrfürchtig, zeigte er nun auf die zwei großen Misthaufen auf dem Gelände und nickte mir wissend zu. Ich verstand sofort, was er meinte.
Plötzlich machte alles einen Sinn. Die zwei riesigen Misthaufen auf dem Hof, stets umzingelt und bewacht von den größten und stärksten Böcken…alles Tarnung. Darunter befinden sich nämlich die Raumschiffe der extraterrestrischen Blöker, verriet mir der Schäfer. Leider konnte ich sie nicht mit eigenen Augen sehen, denn dafür hätte ich erst eine Unmenge stinkenden Mist beiseite schaffen müssen. Auch hatte ich mit meinem kaputten Bein keine große Lust auf Bockkämpfe mit den alten Hammeln. Die waren sich ja nichtmal untereinander grün. Von den vielen Malen, die sie sich gegenseitig mit dem Köpfen bis zur Bewusstlosigkeit gerammt hatten, trugen sie blutige Beulen auf der Stirn; es gab wohl Differenzen bezüglich der Rangordnung ihrer Flottenbesatzung.
In der folgenden Nacht war es endlich soweit, und ich konnte der ersten Schafs-…äh – Aliengeburt beiwohnen. Was da geschah, lässt mich noch jetzt erschaudern. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Direkt bei der Geburt sehen diese Lämmer nämlich noch nicht aus wie Lämmer – sie haben einen fast menschlichen Kopf!
Dieser menschliche Kopf verändert sich aber kurze Zeit später und wirkt plötzlich ganz unverdächtig, ja geradezu niedlich…
Der Schäfer bemerkte meinen erschrockenen Blick, als ich das Alienlamm sah. Da klagte er mir sein ganzes Leid. Wie die Aliens eines Nachts auf seinem Hof gelandet seien, und was sie im Stall für ein Massaker angerichtet hatten. Sie hatten nämlich die urspünglichen Schafe alle aufgefressen, um ihre Gestalt annehmen zu können; wie Formwandler das eben so machen…
Der Leithammel erklärte dem Schäfer dann, wie der Hase fortan zu laufen habe und was man von ihm erwarte. Und noch viel wichtiger, was passieren würde, wenn er sich nicht an die Spielregeln hielte. Der arme Kerl – ein Gefangener auf seinem eigenen Hof. Sklave einer Horde Schafsaliens, die plant, die gesamte Menschheit zu unterjochen. Übrigens, Ihr ahnt vielleicht, was passiert, wenn man aus Versehen Alienfleisch isst…?
Man könnte jetzt meinen, dass es doch nicht allzu schlau ist von den Aliens, ausgerechnet die Gestalt und Schafen anzunehmen, aber ähnliches dachte man ja auch von den Mäusen aus dem Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“. Und niemand kann einem kleinen, meckernden Lamm widerstehen. Man will es sofort in den Arm nehmen, damit kuscheln und es füttern:
Für die Aliens läuft es also bestens. Sie bekommen Streicheleinheiten, Milch und frisches Heu und können den ganzen Sommer auf der grünen Wiese abhängen. Ob sie wohl wissen, dass ihnen der Schlachthof blüht, wenn sie nicht rechtzeitig abreisen? Obwohl…vermutlich ist auch das Teil des perfiden Plans zur Welteroberung…
Ich hatte genug gesehen und beschloss, den Hof wieder zu verlassen, solange dies noch möglich wäre. Die Schwarzen Löcher sind noch zu klein, um damit in der Zeit zu reisen, die UFOs zu gut bewacht, eine Zeitmaschine konnte ich nicht entdecken. Die Suche geht also weiter. Vielleicht fahre ich im Herbst mal wieder hin, um zu sehen, wie sich das Schwarze Loch bis dahin entwickelt hat und wie weit die Invasion der Schafsaliens vorangeschritten ist. Bis dahin überlege ich mir, ob man Ilse Aigner, den Bundesverfassungsschutz oder die GSG9 informieren sollte. Vielleicht sind die Aliens aber gegen Ende des Sommers auch so gechillt von Sonne, Meer und saftigem Gras, dass sie das mit der Welteroberung nochmal verschieben. Hoffen wir das Beste.