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Mrz 15

Die Aufgetauten (7)

Die Entdeckung

In den nächsten Wochen ereignete sich nichts Besonderes. Ich arbeitete weiter im Außendienst und bemühte mich, meine Aufgaben als Mechanikergehilfe so gut wie möglich zu erfüllen.

Die Assistentin rief ich nicht mehr an.

Nach etwa drei Wochen fragte ich meinen Kollegen beiläufig, wann die nächste  Routineüberprüfung bei „Nitrobiotec“ fällig wäre. Er lächelte und sagte: “Da musst du noch zwei Wochen warten.“

Endlich war es soweit. Unser Transporter fuhr auf den Hof von „Nitrobiotec“. Ich nahm die Werkzeugtasche, und wir gingen zuerst in den Raum mit den Kältemaschinen, um dort die Kompressoren zu überprüfen. Sie liefen einwandfrei. In der Pause begegneten wir der Assistentin nicht. Mein Kollege fragte mich, ob ich etwas von ihr gehört hätte, ich zuckte aber nur mit den Schultern und verneinte.

Zum Ende der Pause kam der Wachmann und begleitete uns in den Raum mit den Kühlbehältern. Er deaktivierte die Alarmanlage, damit wir ungestört arbeiten konnten und postierte sich an der Tür. Wenige Minuten später brach ich zusammen. Ich stürzte zu Boden, stöhnte und griff mir an die Brust. Mein Kollege sprang die letzten Stufen der Leiter herunter und beugte sich über mich. Er schrie den Wachmann an: “Los, holen sie Hilfe!“ Dabei fing er an, mir ungeschickt und grob auf der Brust herumzudrücken.

Der Wachmann sagte: „ Es gibt ein Elektroschock-Gerät im Bürotrakt!“ und rannte los. Ich flüsterte: “Meine Tabletten, schnell, im Auto, die Jacke, Tabletten.“ Mein Kollege zögerte, rannte dann aber auch los.

Ich war allein. Sofort stieg ich auf die Leiter und drehte das Handrad eines dieser Edelstahlbehälter solange nach rechts, bis sich der schwere Deckel öffnen ließ. Was ich sah, ließ mich erschauern. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten. Im Behälter befand sich ein Jugendlicher, der vollständig mit flüssigem Stickstoff bedeckt war. Seine dichten, dunkelbraunen Haare waren zu einer Beatlesfrisur geschnitten. Ich verschloss den Behälter, so schnell ich konnte, kletterte von der Leiter herunter und setzte mich wieder auf den Boden.

Der Wachmann kam mit dem Elektroschockgerät. Ihm folgte ein Mitarbeiter der Firma in einem weißen Kittel. Ich wehrte ab, als sie das Gerät auf meine Brust setzen wollten. Ich versuchte zum Beweis, dass es mir wieder gut gehen würde, aufzustehen. Das wurde verhindert. Wenigstens kam aber der Elektroschocker nicht zum Einsatz. Der Mitarbeiter im weißen Kittel, wahrscheinlich ein Arzt, fühlte mir den Puls. „Normaler Herzschlag aber erhöhter Puls.“, stellte er fest.

In dem Augenblick traf der Notarzt ein. Er untersuchte mich kurz und fragte nach meinen Symptomen. Ich antwortete ihm, dass mir nur schwindelig geworden wäre. Ich bekam ein Glas Wasser. Danach schrieb er sich meine Personalien auf und fragte nach meiner Krankenkasse. Ich lehnte es vehement ab, in ein Krankenhaus gefahren zu werden. Er bestand nicht darauf und fühlte mir noch einmal den Puls. Der hatte sich wieder vollständig normalisiert. Danach bekam ich den Ratschlag, mich sofort bei meinem Hausarzt zu melden. Ich versprach es.

Mein Kollege nahm mich beim Arm, als wir zum Transporter gingen und fragte nach der Adresse meines Hausarztes. Ich nannte ihm eine Straße in meiner Wohngegend. Ich habe seit Jahren keinen Arzt mehr aufsuchen müssen, hatte aber vor Monaten bemerkt, dass sich in der Nähe meiner Wohnung die Praxis eines Allgemeinmediziners befindet. Ich wurde auf das Schild aufmerksam, weil ich im Vorbeigehen eine Sprechstundenhilfe sah, die das Schild säuberte. Als ich hinüberblickte, vielleicht einen Augenblick zu lange, lächelte sie mich an. Seitdem schaue ich im Vorbeilaufen meist unbewusst auf dieses Schild.

Mein Kollege parkte den Transporter vor der Praxis in der zweiten Reihe und schaltet die Warnblinkanlage ein. Er begleitete mich hinauf. An die Sprechstundenhilfe, die uns in Empfang nahm, erinnerte ich mich nicht. Mein Kollege verabschiedete sich herzlich von mir und gab mir den Rat, mich ruhig einmal länger krankschreiben zu lassen. Ich wartete bis er gegangen war und ging dann mit den Worten zur Tür, dass ich später wiederkommen würde. Die Sprechstundenhilfe sah mir erstaunt nach.

Als ich das Haus verließ, sah ich den Firmentransporter nicht mehr.

Mein erster Gedanke war, zur Polizei zu gehen. Ich verwarf ihn aber wieder. Stattdessen ging ich noch ein wenig spazieren und überlegte, was ich als nächstes tun solle.

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