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Apr 15

Die Ärzte (5)

Der Unfall

Seit dem Krankenhausaufenthalt in meiner Kindheit, brauchte ich nie ernsthaft die Künste eines Arztes in Anspruch zu nehmen. Dies änderte sich nach einem Wochenendausflug, den ich mit einem Freund unternahm.

Auf der Rückfahrt, die Nacht war schon hereingebrochen, näherten wir uns meiner Heimatstadt, an deren Universität ich inzwischen immatrikuliert war. Mein Freund fuhr zügig, denn die Landstraße war leer. In einer Rechtskurve verlor er die Kontrolle über den Wagen und wir prallten frontal gegen einen Straßenbaum. Hauptsächlich die Beifahrerseite war betroffen. Glücklicherweise war ich angeschnallt, denn sonst könnte ich diese Zeilen hier nicht mehr schreiben. Ich befreite mich aus dem Autowrack und bemerkte, dass mein Blut warm von meinem Kinn tropfte. Als nächstes spuckte ich das abgebrochene Stück eines Zahns aus dem Mund.

Mein Freund, der keine erkennbaren Verletzungen davongetragen hatte, begutachtete mein Gesicht. Ich war mit dem Kopf gegen den rechten Seitenholm geprallt, der völlig verbogen in das Fahrzeuginnere ragte. Dabei hatte ich mir die Haut über der Oberlippe bis hin zur Nase aufgerissen. Die Wunde hatte die Form eines Dreiangels und blutete stark. Es näherte sich ein Auto. Der Fahrer stieg aus und fragte uns, ob er helfen könne. Als seine Frau meine Verletzung sah, holte sie ein Handtuch aus ihrem Reisegepäck und gab es mir. Ihr Mann bot mir an, mich in das nächste Krankenhaus am Rande der Stadt zu fahren. Ich hielt mir das Handtuch vor mein Gesicht und stieg benommen in das Auto ein. Während der Fahrt bemühte ich mich, das Blut mit dem Handtuch aufzufangen, um das Auto nicht zu beschmutzen.

Im Krankenhaus gab es einen Notdienst, der mich in Empfang nahm. Es war ein junger Arzt, der gerade seine Facharztausbildung als Chirurg begonnen hatte. Er war allein mit einer Schwester.

Ich legte mich auf den OP-Tisch und der Mediziner betrachtete meine Wunde. „Wie soll ich daraus wieder eine mitteleuropäische Nase machen?“, rief er aus. „Na dann geben Sie sich mal Mühe!“, quetschte ich zwischen den lockeren Zähnen hervor, denn das Sprechen bereitete mir wegen der beginnenden Schwellung Mühe. Die Schwester legte das nötige Nähzeug zurecht, während der junge Mediziner mit einer Spritze ein Betäubungsmittel in meine Gesichtshaut injizierte, um sie schmerzunempfindlich zu machen. Danach begann er zu nähen. Ich konnte seine Bemühungen gut beobachten, da sich ja alles vor meinen Augen abspielte.

Nachdem er mit dem Vernähen der Wunde fertig war, verschloss er meine Nasenlöcher mit Wattekugeln, um das Blut zu stillen und betrachtete zufrieden sein Werk. Die Schwester verband mir danach den Kopf, so dass ich wie ein typisches Unfallopfer aussah. Nur die Augen und der Mund schauten aus dem Kopfverband heraus. „Was mach ich denn jetzt mit Ihnen?“, fragte er mich. Ich antwortete ihm, dass ich gerne nach Hause gehen würde, da ich nur ungern in Krankenhäusern übernachte. Dem Arzt war es recht und die Schwester rief ein Taxi. Ich sollte mich am übernächsten Tag wieder zum Verbandswechsel vorstellen.

Zu Hause angekommen, legte ich mich erschöpft ins Bett. Irgendwie schlief ich auch ein. Am nächsten Morgen wurde ich nach unruhigem Schlaf wach. Mein Kopf schmerzte dumpf und der Verband war, wie auch mein Kopfkissenbezug, völlig durchblutet. Ich rief ein Taxi und fuhr ins Krankenhaus.

Dort empfing mich der leitende Arzt der Unfallabteilung. Der Verband wurde entfernt und der Mediziner betrachtete wohlwollend das nächtliche Werk des jungen Auszubildenden. Allerdings betrachtete er mit Sorge die brillenförmigen Hämatome, die sich um meine Augen gebildet hatten. Als er die Wattekugeln in meinen Nasenlöchern sah, wurde er fast wütend. „Völlig falsch bei einem Schädelbasisbruch, eine Tamponade der Nasenlöcher vorzunehmen.“, sagte er ziemlich laut und unwirsch. „Wer hat sie denn überhaupt mit dieser Verletzung nach Hause entlassen?“ fragte er im selben Tonfall weiter. Ich erklärte ihm, dass das auf meinen eigenen Wunsch geschehen wäre. Er schüttelte den Kopf und sagte in einem Ton, der jede Widerrede im Keim erstickte: „Sie bleiben hier!“ Ich fügte mich meinem Schicksal. Vorsichtig wurde ich zum Röntgen gefahren.

Ich durfte mich nicht mehr bewegen und bekam ein Bett zugewiesen. Die Schwester kam mit einer Flasche und einer Bettpfanne, in die ich meine Notdurft verrichten sollte. Ich benutzte diese Gerätschaften aber nie, sondern setzte mich über die Anweisungen des Arztes hinweg und ging ganz normal zur Toilette. Ich dachte mir, wenn ich schon die Taxifahrten überstanden hätte, würde ich auch die normalen Verrichtungen überstehen.

Die zweite Nacht nach dem Unfall war schlimmer als die Erste. Ich bekam etwas Wundfieber und ziemlich starke Kopfschmerzen. Überdies schwoll mein Gesicht in unglaublicher Weise an. Irgendwie überstand ich auch diese Nacht, und von da an ging es mit jedem Tag etwas besser. Aus meiner Nase trat aber noch nach Tagen eine Art Wundsekret aus, so dass der Oberarzt eine eingerissene Hirnhaut vermutete. Zur Vorbeugung einer Gehirnhautentzündung erhielt ich von da an jeden Abend eine Penicillinspritze. Das kannte ich schon. Noch immer war die Einwegspritze nicht in Gebrauch. Glücklicherweise war mein Po mit der Zeit etwas gewachsen, so dass sich die Schmerzen in Grenzen hielten. Nach ca. zwei Wochen festigten sich meine Zähne wieder im Kiefer, so dass ich nicht mehr die ewig gleich schmeckende Milchsuppe aus der Schnabeltasse schlürfen musste, die mir drei Mal am Tag gereicht wurde. Stattdessen bekam ich kleingehackte Spaghetti in einer Tomatensauce, die mir unglaublich würzig und gut schmeckten.

Der Oberarzt war aber nicht zufrieden und eröffnete mir, dass er mich zur weiteren Behandlung in die Charité überweisen würde. Ich ahnte nichts Gutes.

In diesem berühmten Krankenhaus wurde ich von dem seinerzeit sehr bekannten Professor Serfling, dem Leiter der Neurochirurgie, weiterbehandelt. Davon möchte ich aber in einem weiteren Kapitel berichten.

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